PRESSE


Von Tilman Hoffer, 8. 3. 2012 kulturkritik.ch

«Lager – Regal – Bitte lesen Sie die Packungsbeilage»

Eine Frau kommuniziert. Sie reagiert auf ein nicht näher bestimmtes Inserat; ihr Sprechen ist also gerechtfertigt. Sie ist
bereit zu den nötigen Schritten der Selbsterniedrigung. Sie wird tun, was man von ihr verlangt, aber was wird verlangt?
Schließlich besteht sie doch darauf, ihre Körperteile zu behalten.
Ein Mann kommuniziert. Er möchte sich neben einer Frau auf die Bank setzen. Er erklärt sich. Er nähert sich ihr und
legt seinen Kopf in ihren Schoß. Aber es wird nichts. «Ich tue Ihnen nichts», beteuert er, um dann hinzuzufügen: «Ich
bin nur unpassend.»
Ganz recht, irgendetwas geschieht da, das den reibungslosen Austausch von Floskeln verhindert. Die Texte, die an diesem
Abend vorgetragen werden, bergen fast alle – manche ernst, manche eher verspielt, aber recht unabhängig davon,
was ihr vorgebliches Thema ist – diese unausgesprochene Frage: Was passiert, wenn die Worte, und sei es nur ein
wenig, von ihren gewohnten Bahnen abweichen? Die entstehenden Szenen sind darum immer beides zugleich: Selbstbewusste
Überschreitungen festgefahrener Muster – und Darstellungen von Kommunikation, die ganz einfach scheitert.
Verschiebungen der Ordnung
Ein Leitmotiv bilden Packungsbeilagen und Gebrauchsanweisungen – Texte, so mag der prosaische Geist meinen, bei
denen es nicht viel zu interpretieren gibt, also sicherer Boden. Die Darsteller klammern sich auch geradezu an sie, als
wären sie der Schlüssel zu Gott-weiß-was. Doch bereits minime Verschiebungen in ihrem Wortlaut, einige unpassende
Wiederholungen verweisen diese Gebrauchstexte in den Bereich der rätselhaften Symbole, deren Aneinanderreihungen
fast wie primitive Beschwörungsformeln klingen.
Das Spiel der Performer ist meist sparsam und unterkühlt, aber souverän, und auch das Bühnenbild ist frugal (ein paar
Kisten und Kartons, die das «Regallager» des Titels andeuten; in ihrer Bild- und Grafiksprache dezente, an die Wand
projizierte Visualisierungen); lediglich einige Requisiten wie Walky-Talky und Laptop tragen die Worte scheinbar nach
außen in die Welt. Scheinbar, denn auch in der Technik liegt keine Rettung.
Der Mensch spricht die ganze Zeit, aber er hat nicht das Sagen – es sind die Worte selbst, die miteinander spielen und
sich aneinander fügen. Was liegt daran, wer spricht? Die Tragödie wandert auf die Meta-Ebene. In schnellem Schnitt
hintereinander gesetzte Szenen erweisen sich als Permutationen, die das scheinbar Selbstverständliche drehen und
wenden, bis es einen Stich ins Groteske bekommt. Ein Spiel mit den Funktionsnormen der Sprache, oft an der Grenze
zum Chaos – und an der Grenze zur Totalüberforderung des Publikums.
Entfremdung?
Worum geht es nun eigentlich? Ist es schon wieder das Anprangern der Entfremdung (die jeden Theaterkritiker entzückt,
weil er nun genau weiß, mit welchen Plattitüden er den Gegenwartsbezug der Aufführung loben kann)? Nein,
kein bisschen. Das Spiel mit den Worten – obgleich zuweilen auf eine überraschend direkte Art komisch – muss keineswegs
für alberne Rebellionsgesten herhalten. Man nimmt die Sprache ernst. Wenn es keine Moral am Ende der Geschichte
gibt, dann vor allem deshalb, weil es keine Geschichte gibt. Die bricolage aus einzelnen Themenvariationen,
die zudem noch von verschiedenen Autorinnen des «DamenDramenLabors» stammen, widersetzt sich der Form der
Erzählung; hin und wieder keimen kleine narrative Fragmente auf, doch bevor sie sich stabilisieren können, werden sie
abgeschossen.
Dies zeigt sich am eindrucksvollsten da, wo die Literatur die Hochburgen der Ordnung stürmt, bei Aufzählungen, Registern,
Inventurlisten. Holzfabrikate in einem Lagerhaus, Folterinstrumente, Romantitel, die das Wort «Liebe» enthalten
– und unzählige Apfelsorten, die merkwürdige Phantasienamen tragen. Nach welchen Kriterien werden hier
halten – und unzählige Apfelsorten, die merkwürdige Phantasienamen tragen. Nach welchen Kriterien werden hier
welche Dinge zusammengefügt? Nicht nach den üblichen, aber die Abweichungen sind auch nicht gigantisch; man vermutet
immer noch eine uns mehr oder weniger ähnliche Intelligenz hinter diesen Tableaux. Ein danach eingeschobener
Text, auch eine Form der Sortierung: Haare, Brillen, Koffer, tausende davon. Plötzlich angestrengte Betroffenheit im
Publikum: Ja richtig, diese andere Bedeutung des Wortes Lager…und nein: Nur weil die Ordnung willkürlichen Regeln
folgt, muss sie keineswegs harmlos sein.
Wenn die Sprache feiert
Streckenweise bleibt dem Zuschauer zugegebenermaßen kaum etwas anderes übrig, als sich schlichtweg dem Strom der
Klangbilder und Assoziationen hinzugeben; doch gleichzeitig wird er fast gezwungen, reflexartig nach der Struktur zu
suchen, der Unordnung wieder System zu unterstellen, kurz: permanent der Verschiebung des Sinns hinterherzulaufen.
Denn er spürt genau, manchmal auf durchaus unbehagliche Weise, dass es auch seine Welt ist, die hier zu wackeln
beginnt und auf eine sehr profunde Weise ihre Eindeutigkeit verliert.
Denn obgleich die Aufführung oft mehr einer szenischen Lesung gleicht, ist sie doch auch immer Handlung, Aktion. Es
wird nicht theoretisiert; ein poetischer Experimentalaufbau wird in Betrieb genommen. Der Effekt ist vielleicht dennoch
eher ein philosophischer; jedenfalls wenn, nach dem Diktum Wittgensteins, «die philosophischen Probleme entstehen,
wenn die Sprache feiert.» Verwirrung setzt ein, ja; aber eine eigenartige Dynamik hat sich etabliert, der es gelingt,
die Vorstellung als Ganzes zu tragen.
Nächste Vorstellung am zweiten April. Empfehlenswert für Leute, die gerne Dinge ordnen würden, aber denen ihre
Sprache schon immer ein wenig fremd vorkam.